Ein Radio für Uelzen
Wir haben es gelesen: Uelzen hat's geschafft und bekommt ein eigenes Radio. Das ist zum Feiern für die, die dieses spannende Medium in unsere Heideecke zu holen verstanden. Unser neues Radio ist schon deshalb ein besonderes, weil wir Leser zunächst das Gegenteil mit unserem Radio machen müssen, als es sonst üblich ist: Wir hören es nicht. Wir lesen darüber in unserer AZ oder der benachbarten LZ oder CZ. Kein Wunder, daß auch bedenkliche ,,Zzzz's" hörbar werden. Dieser Zustand verpflichtet zur gründlichen Bildung, was Radio eigentlich ist und war und wofür oder wogegen es sein wird. Ich habe ein aktuelles Lexikon und ein weiteres, auf dessen Rücken steht: Lexikon für Gebildete (der kleine Meyer von 1934). Während das moderne nur sehr dürr etwas von „Ausstrahlung elektromagnetischer Wellen" sagt, steht in dem Bildenden: „Die Bedeutung des Radios liegt darin, dass es bei entsprechend technischer Vollkommenheit schnellste und billigste Beförderung der Darbietungen ermöglicht....“ Diese Anmerkung ist bedeutend zukunftsweisender für uns. Um Darbietungen wird es sich also handeln, was Uelzens neues Medium anbietet: Wir bekommen nicht einfach Nachrichten aus dem Rathausneubaugerüst oder der Kreisverwaltung. Vielmehr werden sich unsere Parlamentarier und Kommunal- und Kreisleitungen „darbieten", was auf bisher schlummernde Kreativität hoffen lässt, die bisher nur nicht deutlich werden konnte....Unsere Kirchenvertreter*Innen sind da schon geübter: Gute Predigt und Seelsorge waren immer auch schon gute Unterhaltung" im wörtlichen Sinne des geistlichen Lebens-Unterhalts... Die Zuckerfabrik wird Staulängen darbieten mit dem grammatikalisch einmalig schönen „Rübenzeit - Abstand weit" - Pausenzeichen. Und unser Radio wird Musik darbieten: Musikschul-, Burg- und Klosterkonzerte und die Filialen des Deutschen Sängerbundes in allen unseren kleinen und großen Dörfern werden sicher sein können, dass sie von viel mehr Menschen über die neuen Frequenzen von zuhause aus frequentiert werden - selbst wenn der Saal fast leer sein sollte. Unser Lexikon führt aus, dass ein Radio nur durch die Reichweite des Senders und die „Empfindlichkeit der Empfangseinrichtungen begrenzt ist. Auch darin ist unser neues Radio einmalig: Es ist unbegrenzt. Nicht nur, dass wir Lüneburg und andere Nachbarn einbeziehen in die Schallwellen - nein: Unser Radio soll Radio-B-4 heißen. Nicht nur, weil „B-4" an die jeweils amtierenden Oberkreisdirektoren und Stadtdirektoren erinnern soll (deren Besoldungsstufen um den Dreh B-4). B-4 heißt das Radio nach unserer Verkehrsader, die uns mit Lüneburg verbindet, mit welchem wir das Radio Uelzen teilen müssen (wie alle, die solche Spielzeuge wie Medien besitzen). Mit Radio-B-4 fahren wir auf der B-4 künftig in Richtung Süden nach Gifhorn, durch Braunlage in das schöne neue, alte Ostdeutschland. Richtung nördlich fahren wir mit B-4 nach Lüneburg und Winsen durchs schöne Seevetal und den Vorort von Uelzen (namens Hamburg), rauf in den Norden Richtung Rendsburg - und immer begleiten uns die Lieben (Stimmen) aus der Heimat. Alles klar? Nur bei der „Empfindlichkeit der Empfangsgeräte", von denen das Lexikon spricht, sehe ich Probleme....Denn schließlich sind wir allein im engsten Kreis Uelzen schon 96 000 Empfangsgeräte mit jeweils ganz besonderer Empfindlichkeit. Wegen eben dieser Empfindlichkeit, wer nun wann und warum und wie lange ins Radio darf (oder nicht) - sei dem neuen Radio an seinem Anfang gutes Gelingen vor dem ersten Ätherrauschen gewünscht. Das Hintergrundrauschen wird nämlich genug Arbeit machen.
26. September 1995